Kürzlich stieß ich auf ein Interview mit Dr. Arvid Neumann, in dem er behauptete, dass Krafttraining überschätzt sei und Breitensport sogar krank mache. Diese Aussagen haben mich wirklich geärgert. Besonders die pauschale Aussage, dass Sport krank mache, empfinde ich als fahrlässig. Aus meiner Sicht ist eines der wichtigsten Ziele der Sportwissenschaft und Sportmedizin, Menschen zu mehr Bewegung zu ermutigen. Solche Aussagen verunsichern vor allem Menschen, die ohnehin schon zweifeln und womöglich ganz auf Bewegung verzichten.
Ich bin fest davon überzeugt, dass gut trainierte Muskeln eine wesentliche Schutzfunktion für Knochen und Gelenke erfüllen. Sie wirken wie eine Art Puffer, der Belastungen im Alltag oder bei sportlichen Aktivitäten abfängt und so das Verletzungsrisiko, besonders in empfindlichen Gelenken wie Knie und Hüfte, deutlich reduziert. Das ist gerade für ältere Menschen wichtig, da sie oft ein erhöhtes Risiko für degenerative Gelenkerkrankungen haben. Studien belegen außerdem, dass Menschen mit niedriger Muskelmasse häufiger an Arthrose leiden.
Ältere Menschen profitieren meiner Meinung nach enorm von Krafttraining, da mit zunehmendem Alter sowohl Muskelmasse als auch Knochendichte abnehmen. Diese altersbedingten Verluste führen häufig zu Einschränkungen in der Mobilität, Balance und Kraft, was wiederum das Sturzrisiko erhöht. Krafttraining kann diesem natürlichen Abbau entgegenwirken, indem es den Erhalt der Muskelmasse fördert und die Gelenke stabilisiert. Studien zeigen auch, dass regelmäßiges Krafttraining bei Senioren positive Effekte auf die geistige Gesundheit und die Lebensqualität hat. Bereits 20 bis 30 Minuten Krafttraining, zwei- bis dreimal pro Woche, haben positive Auswirkungen auf Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und Osteoporose – besonders für postmenopausale Frauen ist der Effekt auf die Knochendichte bedeutend.
Zum Argument, dass zu viel Muskelmasse im Alltag hinderlich sei, etwa beim Treppensteigen, sage ich: Das entspricht nicht der Realität. Die Menge an Muskelmasse, die man auf natürlichem Weg aufbauen kann, wird uns im Alltag nicht behindern. Durch die Verbreitung von Steroiden haben viele Menschen ein falsches Bild davon, was natürlicherweise möglich ist. Um nennenswert Muskelmasse aufzubauen, braucht es ohnehin ein hohes Maß an gezieltem Training – das passiert nicht einfach so, weder mit Steroiden noch ohne.
Auch die Faszien, denen oft eine überproportionale Rolle zugeschrieben wird, sehe ich differenziert. Natürlich sind Faszien ein wichtiger Teil des Bewegungsapparats, genau wie Muskeln, Sehnen und Bänder. Zusammen ergeben sie ein funktionierendes Gesamtsystem. Doch ihnen eine zentrale Bedeutung zuzuschreiben, während Muskeln als „Muskelpudding“ bezeichnet werden, halte ich für übertrieben. In den letzten Jahren wurde meiner Meinung nach dem Thema Faszien ohnehin zu viel Bedeutung beigemessen.
Schließlich halte ich auch die Aussage für unverständlich, dass Wiederholungen in Kraftübungen zu Bewegungsmangel führen würden. Bewegung führt selbstverständlich nicht zu Bewegungsmangel. Wiederholungen bei Kraftübungen sind entscheidend, um die gewünschten Trainingseffekte zu erreichen. Sie fördern Anpassungen im Muskelgewebe und führen langfristig zu Kraftzuwächsen. Ein gut strukturiertes Training besteht aus mehreren Sätzen und Wiederholungen, um die Muskeln angemessen zu fordern. Bewegungsmangel entsteht eher durch Inaktivität im Alltag, nicht durch gezielte Wiederholungen im Training. Ein gut durchdachtes Trainingsprogramm kombiniert Belastung und Erholung – und beugt so sicher keinem Bewegungsmangel vor.
Auch wenn Dr. Neumann betont, dass die richtige Bewegung im Alltag, etwa das richtige Heben von Gegenständen, Rückenschmerzen vorbeugen könne, sehe ich dies nicht als Gegenargument zu gezieltem Training. Viele Menschen tun sich schwer, solche Bewegungen korrekt auszuführen. Gerade hier ist ein kontrolliertes Training sinnvoll, um Bewegungsabläufe zu üben und zu verbessern. Dass gezieltes Training nicht nur Rückenschmerzen vorbeugt, sondern auch zur Linderung beiträgt, ist durch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegt.